Sonntag, 1. Juli 2012

Aus der Bundestagsrede von Sarah Wagenknecht (Die Linke)

Sarah Wagenknecht (Die Linke)
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Milliarden von Steuergeldern sind verpufft. Derjenige, der Verantwortung trug, erwies sich als Marionette. Als Puppenspieler agierte ausgerechnet die Sorte Manager, die zuletzt Besserung gelobte: ein Investmentbanker. 
Was das Handelsblatt über die Verstaatlichung des Energieversorgers EnBW geschrieben hat, gilt leider auch für die Europapolitik dieser Bundesregierung: Sie handeln wie Marionetten. Die Puppenspieler sind die Banker, und heraus kommen Verträge, mit denen die Bürgerinnen und Bürger über den Tisch gezogen werden, um die Vermögen der Reichsten zu retten und das Spielkasino Finanzmarkt am Laufen zu halten. Es ist schon bezeichnend, dass auf die gestrigen Gipfelbeschlüsse mit einem Kursfeuerwerk der Aktienmärkte reagiert wird.

Europa - ich darf das in Erinnerung rufen - sollte einmal ein Projekt des Friedens, der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit sein, eine Lehre aus Jahrhunderten brutaler Kriege und eine bewusste Alternative zu jenem rüden Kapitalismus, der die Weltwirtschaftskrise und blutige faschistische Diktaturen heraufbeschworen hatte. (...)

Das heutige Europa, das Sie jetzt mit dem zweiten riesigen Bankenrettungsschirm und dem Fiskalpakt besiegeln wollen, ist das genaue Gegenteil davon. Dieses Europa ist ein Projekt der Zerstörung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, (Beifall bei der LINKEN) ein Projekt zur Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten und ein Projekt zur Senkung von Löhnen und Renten. Es ist ein Projekt von Deutscher Bank, Goldman Sachs und Morgan Stanley zur Ausplünderung der europäischen Steuerzahler.
Dass es dahin kommen konnte, dafür sind Sie alle gemeinsam verantwortlich: Sie, Frau Merkel, und Ihre schwarz-gelbe Koalition, für die es offenbar gar keine anderen Werte mehr gibt als die, die auf den Finanzmärkten gehandelt und von den Ratingagenturen benotet werden, aber auch Sie, werte Damen und Herren von der vermeintlichen Opposition aus SPD und Grünen, die sich zwar vor den Kameras gern als Regierungskritiker aufplustern, aber bisher nahezu jeder europapolitischen Schandtat dieser Regierung zugestimmt haben, so wie Sie es heute auch wieder vorhaben. (...)
Ja, Griechenland hatte große hausgemachte Probleme. Aber die soziale Katastrophe, die Griechenland heute durchleidet, ist nicht hausgemacht. Sie ist das Resultat Ihrer Politik. Hören Sie endlich auf, die Realität durch Lügenworte zu umnebeln! Sie erzählen uns, wir hätten eine Staatsschuldenkrise. Tatsächlich ist es die Bankenkrise, die die Schulden der Staaten immer weiter nach oben treibt, weil Sie einerseits milliardenschwere Rettungsschirme aufspannen und riesige Brandmauern errichten und weil Sie andererseits nichts dafür tun, den eigentlichen Brandherd zu löschen. Dieser ist ein nach wie vor viel zu großer, weitgehend deregulierter Finanzsektor, der unverändert mit unverantwortlichen Zockergeschäften immer wieder riesige Verluste produziert. (...)

Wenn der Fiskalpakt eingehalten wird, müssen die europäischen Staaten in den nächsten Jahren über 2 000 Milliarden Euro aus ihren Haushalten heraushacken: bei Gesundheit, bei Sozialem, bei Bildung und bei Renten. Was soll dann denn noch von Europa übrig sein? (...)

Die Gemeinden haben seit Jahren kein Geld. Für die Kinder haben Sie kein Geld. Aber endlose Milliardenbeträge haben Sie offensichtlich, um die Banken zu retten. Hören Sie wenigstens auf, vom Sparen zu reden! Sie sparen überhaupt nicht. Sie verschleudern Milliarden. Sie nehmen den einen und geben den anderen. Das nenne ich nicht Sparen, sondern Umverteilung. Wer von dieser Umverteilung tatsächlich profitiert, kann man in Griechenland deutlich sehen. Zu Beginn seiner vermeintlichen Rettung hatte Griechenland 300 Milliarden Euro Schulden, die von Banken, Hedgefonds und vermögenden Privatanlegern gehalten wurden. Heute hat Griechenland 360 Milliarden Euro Schulden, aber für 300 Milliarden davon haften jetzt die europäischen Steuerzahler. An diesem Beispiel sieht man übrigens auch, was mit den vermeintlichen Hilfsgeldern passiert. Sie gehen nicht an griechische Rentner, sondern an die europäische Finanzmafia. Spanien soll jetzt bis zu 100 Milliarden Euro für seine Banken bekommen. Auch das Geld wird nicht in Spanien bleiben. Allein die Deutsche Bank hat in Spanien 14 Milliarden Euro im Feuer. Sie ist natürlich hocherfreut, dass der deutsche Steuerzahler weiter brav überweist. (...)

Wer den Steuerzahler solchen Risiken aussetzt - wir reden hier über zwei gigantische Rettungsschirme mit einem Haftungsvolumen für Deutschland von 300 Milliarden, eventuell von 400 Milliarden Euro -, wer solche Risiken provoziert, sollte rot anlaufen, wenn er von Haushaltskonsolidierung redet. Nehmen Sie das doch von Ihnen selber beschworene Prinzip der Haftung nur einmal ernst: Wer den Nutzen hatte, soll auch den Schaden tragen. Wer hatte den Nutzen? Es ist doch kein Zufall, dass parallel zu den Staatsschulden auch die privaten Vermögen der oberen Zehntausend in Europa immer neue Rekorde erreichen. Holen Sie sich das Geld doch dort zurück. Da liegen die Milliarden, die uns fehlen. Sie können sie von dort holen - ohne Fiskalpakt und ohne Zerstörung der Demokratie. Sie aber tun das Gegenteil. Sie vergemeinschaften die Schulden, gerade damit die Finanzvermögen der Reichen nicht entwertet werden. Um das nötige Geld einzutreiben, soll jetzt die Budgethoheit der Staaten zugunsten einer Brüsseler Eurokratie aufgehoben werden, weil die natürlich rücksichtsloser kürzen kann. Das ist doch die Wahrheit darüber, was dahintersteht. Das ist der Kern Ihrer Politik. Sie retten nicht den Euro, sondern Sie retten die Euros der Millionäre. 
Dann seien Sie wenigstens so ehrlich und sagen das den Bürgern. Sagen Sie ihnen, dass sich der soziale Bundestaat, den das Grundgesetz festschreibt, mit den vorliegenden Verträgen erledigt hat. Sagen Sie ihnen, dass sie in Zukunft auch in Deutschland ein Parlament wählen dürfen, das nicht mehr viel zu sagen haben wird; denn auch Deutschland gehört zu den Ländern, deren Staatsverschuldung weit über dem liegt, was der Fiskalpakt verlangt. Sagen Sie den Menschen, dass das ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz ist. (...)

Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie wurden als Abgeordnete auf Basis unseres Grundgesetzes gewählt. Wenn Sie noch ein Gewissen haben - als Demokraten und als Europäer -, dann, bitte ich Sie, folgen Sie diesem Gewissen und stimmen Sie heute mit Nein. Vielen Dank. 

Sahra Wagenknecht (DIE LINKE)

Siehe auch: Dr. Peter Dankert (SPD) zum Fiskalvertrag und Stabilitätsmechanismus (ESM) im Bundestag am 29.06.2012, YouTube 

Quelle:
  • Der gesamte Stenografische Bericht der 188. Sitzung – wird amMontag, den 2. Juli 2012, auf der Website des Bundestages unter „Dokumente“, „Protokolle“, „Endgültige Plenarprotokolle“ veröffentlicht.
>>> Verfassungsbeschwerde mitzeichnen
>>> ESM - Das zweite Ermächtigungsgesetz in der deutschen Geschichte seit 1933?

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